(Zufälligerweise sind meine beiden Artikel, dieser und der gerade verlinkte vom letzten Jahr, jeweils am 1. April veröffentlicht worden und ich möchte betonen, dass dies keine Aprilscherze sind.)
http://www.ndr.de/ndrkultur/ audio197605.html
http://swrmediathek.de/ player.htm?show=9bb0f350-b679-1 1e3-b848-0026b975f2e6
http://swrmediathek.de/
bild der wissenschaft 4/2010, S. 32-34
Weg mit der Sommerzeit!
Für viele Menschen beginnt mit der Umstellung auf die Sommerzeit eine sieben Monate lange Phase chronischen Schlafentzugs. Wissenschaftler erklären, warum dagegen nur ein Mittel hilft: den Unfug endlich abzuschaffen.
Von Peter Spork
Vor acht Jahren klopften 48 unbefangene junge Leute bei Hans Van Dongen an. Menschen wie sie hatte der Chronobiologe von der University of Pennsylvania, USA, gesucht. Denn sie hatten ein durchschnittliches Schlafbedürfnis von siebeneinhalb Stunden, waren gesund – und bereit, sich zwei Wochen lang in sein Schlaflabor zu begeben. Ihr Beitrag zur Forschung räumt auf mit dem Mythos vom Schlaf als überflüssigem Zeiträuber und bestätigt, dass er ein Quell von Kreativität und Leistungsfähigkeit ist.
Im Labor durften die Probanden acht, sechs oder vier Stunden pro Nacht schlafen. Am Tage mussten sie Tests absolvieren. Nur bei den Ausgeschlafenen blieben die Ergebnisse im Laufe der zwei Wochen auf hohem Niveau. Bei den anderen ließen sie kontinuierlich nach – und zwar umso rascher, je weniger sie schliefen. Van Dongen diagnostizierte „fortschreitende neurokognitive Dysfunktion im Aufmerksamkeitssystem und Arbeitsgedächtnis“. Doch überraschenderweise wurden die Testpersonen mit zu wenig Schlaf nach etwa vier Tagen nicht mehr müder. Gegen Ende des Experiments klagten sie kaum noch über große Schläfrigkeit. Offenbar macht Schlafmangel dumm – und man merkt es nicht einmal.
Damit passen Van Dongens Resultate hervorragend ins Bild der modernen Schlafforschung. Neurobiologen sehen eine der wichtigsten Aufgaben des Schlafs nämlich darin, dem Nervensystem zu helfen, tags gewonnene Eindrücke zu verarbeiten. Kein Wunder, dass inzwischen selbst Manager Schlafseminare buchen und Politiker sich immer seltener damit brüsten, wie wenig Schlaf sie benötigen. Das hindert die Entscheidungsträger jedoch nicht daran, stur und trotz zunehmender Proteste an einem der größten Schlafräuber überhaupt festzuhalten: an der Sommerzeit. Sie wird immerhin einem Viertel der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des Jahres zugemutet. Dabei bringt sie die Menschen in eine Situation, die mit Hans Van Dongens Experiment vergleichbar ist: Ein Teil bekommt genug Schlaf. Die meisten schlafen jedoch allnächtlich ein bisschen zu kurz – und das nicht zwei Wochen, sondern sieben Monate lang. Jedes Jahr im Frühjahr stellen wir unsere Uhren um eine Stunde vor. Angeblich, um Energie zu sparen – das aber wurde längst widerlegt. Dafür wird unser Alltag in einen nach vorne verschobenen äußeren Rhythmus gezwängt. Und das hat ernste Folgen. Die Erforscher der biologischen Zeitmessung, die Chronobiologen, haben nämlich herausgefunden, dass bei erschreckend vielen Menschen der Gang der inneren Uhr nicht zur Sommerzeit passt. Bis diese Menschen die Uhren im Herbst endlich zurückstellen dürfen, werden sie allabendlich zu spät müde, weil es zuvor eine Stunde länger als gewöhnlich hell war. Der Wecker reißt sie dennoch gnadenlos frühmorgens aus den Federn. Auf der Strecke bleiben immer wieder einige Minuten Schlafenszeit.
Fast jedes Lebewesen hat eine biologische Zeitmessung. Die Evolution hat diese inneren Uhren äußerst flexibel gestaltet. Sie ticken von alleine vor sich hin, jedoch nur im ungefähren Tagesrhythmus. Beim Menschen ist der innere Tag im Durchschnitt 24 Stunden und 20 Minuten lang. Um sich auf den 24-Stunden-Tag einzustellen, sind die Bio-Uhren auf Signale von außen, sogenannte Zeitgeber, angewiesen. Die helfen ihnen, sich laufend neu zu justieren. Erst dieses perfekt abgestimmte System erlaubt es den Organismen, sich ohne dauerhaften „Jetlag“ an wechselnde Bedingungen anzupassen. Die flexible Uhr ermöglichte es den frühen Menschen zum Beispiel, über den Globus zu wandern und mit schwankenden Tageslängen zurechtzukommen.
Wegen ihrer Flexibilität haben die inneren Uhren auch keine Schwierigkeiten, sich unter normalen Bedingungen binnen ein oder zwei Tagen um ein bis vier Stunden zu verstellen. Anders als die meisten Menschen denken, liegt das wirkliche Problem der Sommerzeit nicht in der Zeitumstellung. Die eine Stunde Unterschied sorgt allenfalls für einen Mini-Jetlag. Der erklärt zwar, warum am Montag danach so viele Unfälle passieren oder mehr Menschen als sonst zum Arzt gehen. Er kann aber nicht verantwortlich dafür sein, dass sich viele den ganzen Sommer hindurch schlapp, unkonzentriert und müde fühlen. Tatsächlich ist eine andere Konsequenz der Zeitumstellung viel drastischer, weil sich unser Körper an sie nicht gewöhnen kann. Unsere inneren Uhren erhalten während der gesamten Sommerzeit – Tag für Tag und Nacht für Nacht – permanent verkehrte Signale zur Nachjustierung. Das unterscheidet die Situation grundsätzlich zum Beispiel von einer Reise nach Griechenland. Auch dabei müssen wir die Uhren zwar eine Stunde vorstellen, die Sonne geht dort aber auch ungefähr eine Stunde früher auf. Bei der Umstellung zur Sommerzeit wandert hingegen nur die äußere, die soziale Uhr, die Tageslichtsignale bleiben unverändert. Genau diese sind aber die wichtigsten Zeitgeber für die inneren, die biologischen Rhythmen. Helles Tageslicht erregt spezielle, erst vor wenigen Jahren entdeckte Sinneszellen in der Netzhaut, Melanopsin-Zellen genannt. Sie sind direkt verdrahtet mit den Dirigenten der inneren Uhren in den Organen und Geweben, den Suprachiasmatischen Nuclei (SCN) im Gehirn.
Das Grundprinzip ist denkbar einfach: Abendliches Licht verlangsamt das innere Tempo, es verhindert, dass wir früh müde werden. Morgendliches Licht beschleunigt die Bio-Uhren, es sorgt dafür, dass der innere Tag rascher zu Ende geht. Wird nun die Zeit eine Stunde vorgestellt, ohne dass die Sonne folgt, verschiebt sich die Balance zwischen innerer und äußerer Zeitmessung. Till Roenneberg, Chronobiologe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, fand in einer Umfrage bei 55 000 Menschen heraus, dass die inneren Rhythmen auch nach der Umstellung auf die Sommerzeit vor allem den Sonnenuntergangszeiten folgen, die natürlich gleich geblieben sind. Wir werden in Bezug zur äußeren Zeit also eine Stunde später müde als sonst – und das nicht nur am Tag nach der Zeitumstellung, sondern sämtliche sieben Monate, bis die Uhren wieder zurückgestellt werden.
Für Menschen, die von ihren Vorfahren eher schnell gehende innere Uhren geerbt haben, ist das kein Problem. Sie werden ohnehin früh müde und sind morgens auch dann vor dem Weckerklingeln wach, wenn dieser im Bezug zum biologischen Tag eine Stunde früher dran ist. Doch diese sogenannten Lerchen sind mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 15 Prozent deutlich in der Minderheit. Selbst die normalen Chronotypen, die mit rund 65 Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, kommen mit der Umstellung kaum zurecht. Ganz zu schweigen von den „Eulen“ (etwa 20 Prozent) mit tendenziell sehr langsam gehenden inneren Uhren. Sie alle leben im „sozialen Jetlag“ wie Roenneberg es formuliert. Während der Arbeitswoche werden sie abends nicht rechtzeitig müde und müssen morgens zu früh aufstehen. Am Wochenende versuchen sie dann, so gut es geht, den verloren gegangenen Schlaf aufzuholen. „Fast zwei Drittel der Menschen leiden unter der Arbeitswoche an Schlafentzug“, sagt Roenneberg. Bei einem Viertel betrage der allnächtliche Schlafmangel mehr als eine halbe Stunde.
Dieses Problem, das wegen der hierzulande üblichen frühen Schul- und Arbeitszeiten ohnehin besteht, verschärft die Sommerzeit drastisch. Besonders stark trifft das jüngere Menschen, die biologisch bedingt Morgenmuffel sind. Erst im Alter werden die meisten von uns zu „Lerchen“. Und wer meint, das Tageslicht könne man doch einfach austricksen und früher zu Bett gehen, sei auf eine weitere Auswertung der Münchner Datenbank hingewiesen: Wenn sie nicht arbeiten müssen, schlafen die Menschen im äußersten Osten Deutschlands im Durchschnitt 34 Minuten früher ein als im äußersten Westen, wo die Sonne 36 Minuten später untergeht.
Über die Vorschläge einiger Politiker, die Sommerzeit ganzjährig beizubehalten, braucht man angesichts dieser Resultate nicht zu diskutieren. Sie zeugen von erschreckender Naivität. Im Gegenteil: Die Sommerzeit muss endlich abgeschafft werden! Davon würde die große Mehrheit der Menschen mit normalem und eulenhaftem Chronotyp klar profitieren, ohne dass die Minderheit des frühen Chronotyps leiden müsste. Diese Lerchen werden durch eine Beibehaltung der Normalzeit allenfalls am Wochenende so früh müde, dass sie Abendveranstaltungen weniger genießen können – ein vergleichsweise nachrangiges Problem. Die Abschaffung der Sommerzeit würde die meisten Menschen gesünder, schlauer und fitter machen – und nebenbei Geld sparen, weil die aufwendige Umstellung öffentlicher Uhren, die Anpassung von Schicht-, Fahr- und Dienstplänen und vieles mehr wegfallen würde. Warum übernehmen deutsche Politiker also keine Vorreiterrolle? Sie sollten endlich die Argumente aus der Wissenschaft ernst nehmen und andere EU-Länder mitreißen. Sonst könnte ihnen jemand zuvorkommen: Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat im Herbst 2009 in einer Grundsatzrede angekündigt, sich mit der Abschaffung der Sommerzeit auseinanderzusetzen.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass mal wieder gar nichts passiert. Dann bleiben uns nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder wir passen unseren Lebensrhythmus an Länder an, die noch weiter westlich in der Zeitzone leben, zum Beispiel Spanien. Dort beginnen Schule und Arbeit später, es gibt eine Siesta, und das Abendessen beginnt frühestens um 21 Uhr. Oder wir simulieren uns passendere Sonnenauf- und -untergänge, setzen uns morgens im Büro vor eine Lichttherapie-Lampe und laufen abends mit Sonnenbrille herum.
© Peter Spork
Peter Spork leidet als durchschnittlicher Chronotyp selbst unter der Sommerzeit. Vor allem aber regt sich der promovierte Biologe und Wissenschaftsautor (Spezialgebiete: Schlaf- und Hirnforschung, Chrono- und Molekularbiologie) darüber auf, dass die Sommerzeit wider besseres Wissen – vermutlich nur aus Trägheit – beibehalten wird. Spork schreibt Sachbücher, die bisher in neun Sprachen übersetzt wurden, und hält Vorträge, auch an Schulen. Sein aktuelles Werk „Der zweite Code. Epigenetik – oder wie wir unser Erbgut steuern können“ hat bdw im März-Heft vorgestellt.
Quelle: http://www.peter-spork.de/82-0-Weg-mit-der-Sommerzeit.html
Weg mit der Sommerzeit!
Für viele Menschen beginnt mit der Umstellung auf die Sommerzeit eine sieben Monate lange Phase chronischen Schlafentzugs. Wissenschaftler erklären, warum dagegen nur ein Mittel hilft: den Unfug endlich abzuschaffen.
Von Peter Spork
Vor acht Jahren klopften 48 unbefangene junge Leute bei Hans Van Dongen an. Menschen wie sie hatte der Chronobiologe von der University of Pennsylvania, USA, gesucht. Denn sie hatten ein durchschnittliches Schlafbedürfnis von siebeneinhalb Stunden, waren gesund – und bereit, sich zwei Wochen lang in sein Schlaflabor zu begeben. Ihr Beitrag zur Forschung räumt auf mit dem Mythos vom Schlaf als überflüssigem Zeiträuber und bestätigt, dass er ein Quell von Kreativität und Leistungsfähigkeit ist.
Im Labor durften die Probanden acht, sechs oder vier Stunden pro Nacht schlafen. Am Tage mussten sie Tests absolvieren. Nur bei den Ausgeschlafenen blieben die Ergebnisse im Laufe der zwei Wochen auf hohem Niveau. Bei den anderen ließen sie kontinuierlich nach – und zwar umso rascher, je weniger sie schliefen. Van Dongen diagnostizierte „fortschreitende neurokognitive Dysfunktion im Aufmerksamkeitssystem und Arbeitsgedächtnis“. Doch überraschenderweise wurden die Testpersonen mit zu wenig Schlaf nach etwa vier Tagen nicht mehr müder. Gegen Ende des Experiments klagten sie kaum noch über große Schläfrigkeit. Offenbar macht Schlafmangel dumm – und man merkt es nicht einmal.
Damit passen Van Dongens Resultate hervorragend ins Bild der modernen Schlafforschung. Neurobiologen sehen eine der wichtigsten Aufgaben des Schlafs nämlich darin, dem Nervensystem zu helfen, tags gewonnene Eindrücke zu verarbeiten. Kein Wunder, dass inzwischen selbst Manager Schlafseminare buchen und Politiker sich immer seltener damit brüsten, wie wenig Schlaf sie benötigen. Das hindert die Entscheidungsträger jedoch nicht daran, stur und trotz zunehmender Proteste an einem der größten Schlafräuber überhaupt festzuhalten: an der Sommerzeit. Sie wird immerhin einem Viertel der Weltbevölkerung mehr als die Hälfte des Jahres zugemutet. Dabei bringt sie die Menschen in eine Situation, die mit Hans Van Dongens Experiment vergleichbar ist: Ein Teil bekommt genug Schlaf. Die meisten schlafen jedoch allnächtlich ein bisschen zu kurz – und das nicht zwei Wochen, sondern sieben Monate lang. Jedes Jahr im Frühjahr stellen wir unsere Uhren um eine Stunde vor. Angeblich, um Energie zu sparen – das aber wurde längst widerlegt. Dafür wird unser Alltag in einen nach vorne verschobenen äußeren Rhythmus gezwängt. Und das hat ernste Folgen. Die Erforscher der biologischen Zeitmessung, die Chronobiologen, haben nämlich herausgefunden, dass bei erschreckend vielen Menschen der Gang der inneren Uhr nicht zur Sommerzeit passt. Bis diese Menschen die Uhren im Herbst endlich zurückstellen dürfen, werden sie allabendlich zu spät müde, weil es zuvor eine Stunde länger als gewöhnlich hell war. Der Wecker reißt sie dennoch gnadenlos frühmorgens aus den Federn. Auf der Strecke bleiben immer wieder einige Minuten Schlafenszeit.
Fast jedes Lebewesen hat eine biologische Zeitmessung. Die Evolution hat diese inneren Uhren äußerst flexibel gestaltet. Sie ticken von alleine vor sich hin, jedoch nur im ungefähren Tagesrhythmus. Beim Menschen ist der innere Tag im Durchschnitt 24 Stunden und 20 Minuten lang. Um sich auf den 24-Stunden-Tag einzustellen, sind die Bio-Uhren auf Signale von außen, sogenannte Zeitgeber, angewiesen. Die helfen ihnen, sich laufend neu zu justieren. Erst dieses perfekt abgestimmte System erlaubt es den Organismen, sich ohne dauerhaften „Jetlag“ an wechselnde Bedingungen anzupassen. Die flexible Uhr ermöglichte es den frühen Menschen zum Beispiel, über den Globus zu wandern und mit schwankenden Tageslängen zurechtzukommen.
Wegen ihrer Flexibilität haben die inneren Uhren auch keine Schwierigkeiten, sich unter normalen Bedingungen binnen ein oder zwei Tagen um ein bis vier Stunden zu verstellen. Anders als die meisten Menschen denken, liegt das wirkliche Problem der Sommerzeit nicht in der Zeitumstellung. Die eine Stunde Unterschied sorgt allenfalls für einen Mini-Jetlag. Der erklärt zwar, warum am Montag danach so viele Unfälle passieren oder mehr Menschen als sonst zum Arzt gehen. Er kann aber nicht verantwortlich dafür sein, dass sich viele den ganzen Sommer hindurch schlapp, unkonzentriert und müde fühlen. Tatsächlich ist eine andere Konsequenz der Zeitumstellung viel drastischer, weil sich unser Körper an sie nicht gewöhnen kann. Unsere inneren Uhren erhalten während der gesamten Sommerzeit – Tag für Tag und Nacht für Nacht – permanent verkehrte Signale zur Nachjustierung. Das unterscheidet die Situation grundsätzlich zum Beispiel von einer Reise nach Griechenland. Auch dabei müssen wir die Uhren zwar eine Stunde vorstellen, die Sonne geht dort aber auch ungefähr eine Stunde früher auf. Bei der Umstellung zur Sommerzeit wandert hingegen nur die äußere, die soziale Uhr, die Tageslichtsignale bleiben unverändert. Genau diese sind aber die wichtigsten Zeitgeber für die inneren, die biologischen Rhythmen. Helles Tageslicht erregt spezielle, erst vor wenigen Jahren entdeckte Sinneszellen in der Netzhaut, Melanopsin-Zellen genannt. Sie sind direkt verdrahtet mit den Dirigenten der inneren Uhren in den Organen und Geweben, den Suprachiasmatischen Nuclei (SCN) im Gehirn.
Das Grundprinzip ist denkbar einfach: Abendliches Licht verlangsamt das innere Tempo, es verhindert, dass wir früh müde werden. Morgendliches Licht beschleunigt die Bio-Uhren, es sorgt dafür, dass der innere Tag rascher zu Ende geht. Wird nun die Zeit eine Stunde vorgestellt, ohne dass die Sonne folgt, verschiebt sich die Balance zwischen innerer und äußerer Zeitmessung. Till Roenneberg, Chronobiologe an der Münchner Ludwig-Maximilians-Universität, fand in einer Umfrage bei 55 000 Menschen heraus, dass die inneren Rhythmen auch nach der Umstellung auf die Sommerzeit vor allem den Sonnenuntergangszeiten folgen, die natürlich gleich geblieben sind. Wir werden in Bezug zur äußeren Zeit also eine Stunde später müde als sonst – und das nicht nur am Tag nach der Zeitumstellung, sondern sämtliche sieben Monate, bis die Uhren wieder zurückgestellt werden.
Für Menschen, die von ihren Vorfahren eher schnell gehende innere Uhren geerbt haben, ist das kein Problem. Sie werden ohnehin früh müde und sind morgens auch dann vor dem Weckerklingeln wach, wenn dieser im Bezug zum biologischen Tag eine Stunde früher dran ist. Doch diese sogenannten Lerchen sind mit einem Bevölkerungsanteil von etwa 15 Prozent deutlich in der Minderheit. Selbst die normalen Chronotypen, die mit rund 65 Prozent die große Mehrheit der Bevölkerung ausmachen, kommen mit der Umstellung kaum zurecht. Ganz zu schweigen von den „Eulen“ (etwa 20 Prozent) mit tendenziell sehr langsam gehenden inneren Uhren. Sie alle leben im „sozialen Jetlag“ wie Roenneberg es formuliert. Während der Arbeitswoche werden sie abends nicht rechtzeitig müde und müssen morgens zu früh aufstehen. Am Wochenende versuchen sie dann, so gut es geht, den verloren gegangenen Schlaf aufzuholen. „Fast zwei Drittel der Menschen leiden unter der Arbeitswoche an Schlafentzug“, sagt Roenneberg. Bei einem Viertel betrage der allnächtliche Schlafmangel mehr als eine halbe Stunde.
Dieses Problem, das wegen der hierzulande üblichen frühen Schul- und Arbeitszeiten ohnehin besteht, verschärft die Sommerzeit drastisch. Besonders stark trifft das jüngere Menschen, die biologisch bedingt Morgenmuffel sind. Erst im Alter werden die meisten von uns zu „Lerchen“. Und wer meint, das Tageslicht könne man doch einfach austricksen und früher zu Bett gehen, sei auf eine weitere Auswertung der Münchner Datenbank hingewiesen: Wenn sie nicht arbeiten müssen, schlafen die Menschen im äußersten Osten Deutschlands im Durchschnitt 34 Minuten früher ein als im äußersten Westen, wo die Sonne 36 Minuten später untergeht.
Über die Vorschläge einiger Politiker, die Sommerzeit ganzjährig beizubehalten, braucht man angesichts dieser Resultate nicht zu diskutieren. Sie zeugen von erschreckender Naivität. Im Gegenteil: Die Sommerzeit muss endlich abgeschafft werden! Davon würde die große Mehrheit der Menschen mit normalem und eulenhaftem Chronotyp klar profitieren, ohne dass die Minderheit des frühen Chronotyps leiden müsste. Diese Lerchen werden durch eine Beibehaltung der Normalzeit allenfalls am Wochenende so früh müde, dass sie Abendveranstaltungen weniger genießen können – ein vergleichsweise nachrangiges Problem. Die Abschaffung der Sommerzeit würde die meisten Menschen gesünder, schlauer und fitter machen – und nebenbei Geld sparen, weil die aufwendige Umstellung öffentlicher Uhren, die Anpassung von Schicht-, Fahr- und Dienstplänen und vieles mehr wegfallen würde. Warum übernehmen deutsche Politiker also keine Vorreiterrolle? Sie sollten endlich die Argumente aus der Wissenschaft ernst nehmen und andere EU-Länder mitreißen. Sonst könnte ihnen jemand zuvorkommen: Der russische Präsident Dmitri Medwedew hat im Herbst 2009 in einer Grundsatzrede angekündigt, sich mit der Abschaffung der Sommerzeit auseinanderzusetzen.
Wahrscheinlicher ist allerdings, dass mal wieder gar nichts passiert. Dann bleiben uns nur noch zwei Möglichkeiten: Entweder wir passen unseren Lebensrhythmus an Länder an, die noch weiter westlich in der Zeitzone leben, zum Beispiel Spanien. Dort beginnen Schule und Arbeit später, es gibt eine Siesta, und das Abendessen beginnt frühestens um 21 Uhr. Oder wir simulieren uns passendere Sonnenauf- und -untergänge, setzen uns morgens im Büro vor eine Lichttherapie-Lampe und laufen abends mit Sonnenbrille herum.
© Peter Spork
Peter Spork leidet als durchschnittlicher Chronotyp selbst unter der Sommerzeit. Vor allem aber regt sich der promovierte Biologe und Wissenschaftsautor (Spezialgebiete: Schlaf- und Hirnforschung, Chrono- und Molekularbiologie) darüber auf, dass die Sommerzeit wider besseres Wissen – vermutlich nur aus Trägheit – beibehalten wird. Spork schreibt Sachbücher, die bisher in neun Sprachen übersetzt wurden, und hält Vorträge, auch an Schulen. Sein aktuelles Werk „Der zweite Code. Epigenetik – oder wie wir unser Erbgut steuern können“ hat bdw im März-Heft vorgestellt.
Quelle: http://www.peter-spork.de/82-0-Weg-mit-der-Sommerzeit.html
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