Wenn irgendwo in Zeitungen oder im Fernsehen über das Internet berichtet wird, dann kann man Wetten darüber abschließen, dass ein bestimmter Begriff auftaucht. Und das ist die „Netzgemeinde“.
Sie wird seit Jahren für nahezu alles verantwortlich gemacht, was in Deutschland danebengeht. Zum Beispiel, dass Herr zu Guttenberg wegen zwei, drei winzig kleiner Unstimmigkeiten in seiner Doktorarbeit arge Schwierigkeiten bekam. Oder dass Joachim Gauck vermutlich noch vor seiner Wahl vom Amt des Bundespräsidenten zurücktreten wird. Es handelt sich bei der Netzgemeinde um eine der aktivsten religiösen Bewegungen in der Bundesrepublik mit weit über 60 Millionen Mitgliedern. Das Ritual dieser Sekte besteht darin, schon am Morgen, kurz nach dem Aufwachen, einen meist runden Knopf zu drücken und sich dann den Rest des Tages vor einem erleuchteten Schrein, auch Bildschirm genannt, zu verneigen. Manchmal ist das verbunden mit gemurmelten, für Außenstehende unverständlichen Zauberformeln wie „Möcht’ nur mal wissen, warum der Kasten heut’ wieder so langsam is’“.
In die Netzgemeinde wird man aufgenommen, wenn man bereit ist, an Firmen wie Telekom oder Vodafone monatlich eine größere Spende zu überweisen und während nächtelanger Exerzitien (auch „Surfen“ genannt) seine Wohnung nicht zu verlassen. Den lästigen Missionaren dieser Gemeinde kann man inzwischen überall in U-Bahnen und in Fußgängerzonen begegnen. Sie halten uns iPads und Smartphones vor die Nase und versuchen auf diese Weise, uns zu bekehren.
Vereinzelt wird von Aussteigern berichtet. Sie schreiben bereits dann ziemlich stolz ein 300-Seiten-Buch darüber, wenn sie es mal vier Wochen ohne einen Kontakt zur Netzgemeinde geschafft haben. Aber die kommen uns, ehrlich gesagt, häufig noch etwas gestörter vor als die eigentlichen Sektenmitglieder.
Quelle: HARALD BAUMER (Nürnberger Nachrichten)
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